Der Beitrag der Kirchen zu einer nachhaltigen Entwicklung

Zentraler Ausgangspunkt des kirchlichen Beitrags für eine nachhaltige Entwicklung ist der christliche Schöpfungsglaube: »Schöpfung« meint nicht nur einen Akt am Anfang der Welt, sondern zugleich die ständige Gegenwart Gottes in seinen Geschöpfen.

Wer bewusst von Schöpfung spricht, erkennt die Erde als Raum des geschenkten Lebens an, den die Menschen in Ehrfurcht und Verantwortung bebauen und bewahren (Genesis 2,15), also gestalten und schützen sollen.
Als Geschöpf steht der Mensch in einer umfassenden Schicksalsgemeinschaft mit allen Lebewesen. Alle sind Mitgeschöpfe des Menschen, denen ihr je eigener Ort im großen »Lebenshaus« der Schöpfung zugewiesen ist. Die Anerkennung des je eigenen, weit über ihren unmittelbaren Nutzen hinausgehenden Wertes der Mitgeschöpfe ist eine notwendige Konsequenz des christlichen Schöpfungsglaubens.

Christliche Schöpfungsverantwortung hat jedoch nie die Natur für sich allein, sondern stets die Geschichte des Menschen in und mit ihr im Blick. Für die Wahrnehmung ökologischer Anliegen bedeutet dies, dass sie von vornherein in einem soziokulturellen Zusammenhang gesehen werden. Dies entspricht dem ethischen Ansatz der Rio-Deklaration und der Agenda 21, die Menschenschutz und Naturschutz, Armutsbekämpfung und Umweltvorsorge als Einheit verstehen.

Die christliche Dimension der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit kann man als eine »Übersetzung« christlicher Schöpfungsverantwortung in der Sprache heutiger Politik und Wirtschaft verstehen. Das Leitbild ermöglicht, die praktischen Konsequenzen des Schöpfungsglaubens zu konkretisieren und unter den Bedingungen und tatsächlichen Entscheidungsproblemen moderner Gesellschaft zur Geltung zu bringen.

In dem häufig synonym zu »Nachhaltigkeit« verwendeten Begriff»Zukunftsfähigkeit« schwingt eine weit über die Ebene des politisch Machbaren hinausweisende Dimension mit: Zukunftsfähigkeit hat etwas mit einem sinnerfüllten Leben zu tun. Voraussetzung hierfür ist, dass der Mensch in Übereinstimmung mit sich selbst seinem sozialen Umfeld, seinem Gewissen oder seinem religiösen Glauben handelt. Er kann sie nur dann gewinnen, wenn er sich in etwas »festmacht«, das über sein eigenes Ich hinausgeht und ihm so einen dauerhaften Zukunftshorizont eröffnet. Ohne Gott ist Zukunftsfähigkeit im vollen Sinne des Wortes nicht denkbar.
Diese religiöse und ethische Tiefendimension, die in dem scheinbar rein säkularen Begriff mitschwingt, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass er bei vielen so große Hoffnungen zu wecken vermag. Es ist Aufgabe und Chance der Kirchen, hieran anzuknüpfen und die Begriffe Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit der tagespolitischen Vereinnahmung und Verflachung zu entziehen.

Christliche Schöpfungsverantwortung ist auf den Weg der Agenda 21 verwiesen

Bereits 1974 hat der Ökumenische Rat der Kirchen Reformen für eine »sustainable society« (nachhaltige Gesellschaft) verabschiedet. Die integrale Sichtweise der Umweltfragen, die sich mit dem Nachhaltigkeitskonzept durchzusetzen beginnt, entspricht zutiefst dem Ansatz christlicher Schöpfungsverantwortung.

So gibt es vielfältige Zusammenhänge zwischen der Trias des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und der Trias von Ökologie, Ökonomie und Sozialem, die die Botschaft von Rio ist.
Christliche Schöpfungsverantwortung ist heute auf den Weg der Agenda 21 verwiesen. Umgekehrt kann deren Begründung und Umsetzung vom christlichen Schöpfungsglauben her entscheidende Impulse erhalten. Nachhaltigkeit ist das »missing link« zwischen Schöpfungsglauben und gesellschaftlichem Umweltdiskurs. So wie der christliche Gedanke der unbedingten Würde jedes einzelnen Menschen durch die Menschenrechte in politische und juristische Kategorien übersetzt wird, so wird der christliche Schöpfungsglaube durch die Verknüpfung mit dem Nachhaltigkeitsprozess »politikfähig«.

In dem 1997 veröffentlichten Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit wird nachhaltige Entwicklung erstmalig in einem offiziellen kirchlichen Dokument als grundlegende Perspektive christlicher Ethik aufgenommen und mit einer Reihe von Konsequenzen für eine ökologische Strukturreform verknüpft (Textziffern 122-125 und 224-232).
Dies wird in der Schrift der Kommission VI der Deutschen Bischofskonferenz Handeln für die Zukunft der Schöpfung, die 1998 veröffentlicht wurde, systematisch entfaltet. Der Idee der Nachhaltigkeit durch Vernetzung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem wird der Rang eines neuen Grundprinzips christlicher Sozialethik zugesprochen (Tz. 106-150). In einer »kirchlichen Agenda für nachhaltige Entwicklung« (Tz. 227-272) wird dies auch auf entsprechende Strukturreformen der katholischen Kirche selbst angewendet. Im Oktober 1998 wurde im Kloster Benediktbeuern die Clearingstelle Kirche und Umwelt eingerichtet, die die Umsetzung dieser Agenda deutschlandweit fördert und begleitet (Kontaktadresse: Clearingstelle Kirche und Umwelt, Don Bosco Str. 1, 13 83671 Bendiktbeuern, Tel.: 0 88 57/8 82 36).

Ethische Impulse

Leitende Wertvorstellungen unserer Gesellschaft sind christlicher Herkunft und bedürfen der ständigen Vertiefung und Erneuerung, um ihre tragende Kraft zu behalten. Hier liegt ein Schwerpunkt der gesellschaftlichen Erwartung an die Kirchen: Sie sollen vor allem ethische Impulse beitragen, um das Gewissen des Einzelnen für die Bewahrung der Schöpfung und für globale Gerechtigkeit zu schärfen und aus dieser Quelle heraus gesellschaftliche Reformen anzustoßen.
Die Sinndimensionen des Lebens erschließen sich wesentlich in der Wahrnehmung von Verantwortung für die Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Dieses Bewusstsein zu stärken, ist der grundlegende Dienst der Kirche für die Gesellschaft. Es geht dabei um die ethischen Fundamente, auf denen die Demokratie beruht, ohne sie selbst erzeugen zu können.
Die Kirchen haben von der Botschaft Jesu her das Programm, Anwalt der Schwächsten und Ärmsten zu sein, der vielen, die nicht in Interessenverbänden organisiert sind, der Völker der Dritten Welt, die der Kirche genauso nahe und wichtig sein müssen wie die Christinnen und Christen im eigenen Land, aber auch der bedrohten Schöpfung, der sie ihre Stimme verleihen sollen.
Die UN-Konferenz von Rio de Janeiro hat eindrucksvoll die Notwendigkeit einer neuen planetarischen Ethik verdeutlicht. Ein solches anspruchsvolles Programm kann jedoch nicht allein von der parlamentarischen Politik eingelöst werden. Es erfordert eine breite und offene gesellschaftliche Verständigung über die ethischen Grundlagen, Ziele und Strukturen einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Die Kirchen sind herausgefordert, als »Sauerteig« für die Entstehung einer neuen, globalen Ethik der Nachhaltigkeit zu wirken (vgl. M. Vogt, Globale Nachbarschaft. Christliche Sozialethik vor neuen Herausforderungen, München 1998).

Dabei geht es keineswegs nur um Verzicht, sondern vor allem um eine Strategie nachhaltiger Entwicklung, die durch Vernetzung unterschiedlicher Handlungsfelder darauf zielt die Grenzen der Natur in Chancen zu wandeln, nämlich in Chancen für einen strukturellen Wandel, der sich auf Dauer auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht als sinnvoll erweist.

Lebensstile

In Deutschland hat sich in den 90er Jahren gezeigt: Trotz guter unwelttechnischer Fortschritte wurde kein durchschlagender Erfolg in der Entlastung der Umwelt erreicht, denn die technischen Verbesserungen werden weitgehend durch die Steigerung des Anspruchsniveaus der Bürger wieder »aufgefressen«.
Deshalb bleiben alle Bemühungen um eine Reform von Politik und Wirtschaft erfolglos, wenn sie nicht mit einem Gesinnungswandel hinsichtlich der Wohlstandsvorstellungen und des Lebensstils verbunden werden. Dabei geht es um das Ethos freiwilliger Verantwortung für eine dauerhaft- umweltverträgliche Gestaltung der individuellen Lebensbereiche. Hier sieht der Rat der europäischen Bischofskonferenzen den Schwerpunkt des möglichen Beitrags der Kirchen zum Umweltschutz (CCEE, Umwelt und Entwicklung. Eine Herausforderung an unsere Lebensstile, Kreta 1995).
Der Lebensstil ist von den jeweiligen Wohlstandsvorstellungen geprägt. Christliche Schöpfungsethik muss die Wohlstandsvorstellungen von innen heraus umformen zu Gunsten einer Wahrnehmung von Umweltqualität als Bestandteil von Lebensqualität. Sie hat hier nur Chancen, wenn sie sich nicht allein in der Form von Pflichten darstellt, sondern in attraktive Vorstellungen des gelungenen Lebens transformiert wird. Umweltschutz muss Spaß machen. Er muss als Bestandteil der eigenen Gesundheit, Identität und Kultur erlebbar sein.

So suchen die Kirchen deutlich zu machen, dass die Chancen humaner Entfaltung und Lebensbewältigung für einen Großteil der Menschen in Deutschland nicht primär durch ein Mehr an Produkten und Erlebnisangeboten zu verbessern sind, sondern durch eine Kultur des Maßhaltens und der Konzentration auf das Wesentliche, durch eine Kultur der Solidarität und der Aufmerksamkeit für die Mitmenschen und Mitgeschöpfe sowie durch eine Stärkung religiöser und ethischer Identitätsfindungsprozesse.

Psychische Stärke gefordert

Gerade in der Bewusstmachung der vielfältigen Dimensionen dessen, was wirklich dem dauerhaften Wohl(stand) des Menschen dient, können die Kirchen einen wichtigen Beitrag leisten: Das christliche Menschenbild bietet vielfältige Ansätze für eine Kritik der Gleichsetzung von »gut leben« und »viel haben«. Mitunter kann Konsumverzicht und die »Umkehr« zu einfacheren Lebensstilen zu einem Gewinn an Lebensqualität und kultureller Entfaltung führen. Dabei wird der Fähigkeit, sich mit dem Nötigen zu begnügen, eine Schlüsselbedeutung zukommen. Das erfordert jedoch psychische Stärke. Denn es ist keineswegs leicht, sich der sanften Gewalt dauernder Wunscherzeugung in der Konsum- und Verbrauchergesellschaft zu entziehen.
Gegenwärtig wird in der Forschung zum Umweltbewusstsein und -verhalten stärker wahrgenommen, dass »wertkonservative« Einstellungen und Sekundärtugenden, wie etwa Sparsamkeit, Traditionsbewusstsein, Familien- und Nachbarschaftsorientierung oder Einbindung in gemeinschaftsbildende Institutionen in ihrer Auswirkung auf das Umweltverhalten oft günstiger sind als hohe ökologische Überzeugungen. Dadurch erweitert sich das Spektrum der »ökologisch anerkannten Tugenden«, was neue Brückenschläge zu kirchlichem Milieu schafft. Es ist eine ganz wesentliche Aufgabe der Kirchen, die »moralischen Ressourcen« für nachhaltige Lebensstile und nachhaltige Politik zu stärken.

Markus Vogt